Ließ sich in der Vergangenheit ein Mann auf mich ein und umgekehrt, so hat sich mir nie die Frage gestellt «Findet der mich überhaupt attraktiv?». Dass mich mein Gegenüber als ansehnlich betrachtet, war für mich eine logische Schlussfolgerung seines getätigten Annäherungsversuches. Führte ein Mann eine Beziehung mit mir, so ging ich automatisch davon aus, dass er mir gegenüber sowohl auf körperlicher wie auf emotionaler Ebene eine Anziehung verspürt, und zwar eine, die nicht erst erschaffen werden muss. Dass das auch anders geht, durfte ich einmal mehr durch Applejack erfahren.
Ich war perplex, als mir mein Mann – zu Beginn unserer Liaison – etwas eröffnete, von dem ich mir im ersten Moment wünschte, es wäre verschlossen geblieben. Im Grunde war ich jedoch selbst schuld, denn ich hatte ihm eine Frage gestellt und wer fragt, sollte ja bekanntlich die Antwort nicht scheuen. Da es doch einige Epochen lang gedauert hatte, bis er feststellen konnte, dass er nun doch mehr für mich empfindet, als nur freundschaftliche Gefühle und es – auch nach dieser Erkenntnis – mit der körperlichen Annäherung nur schleppend voranging, schwelgte ich zunächst regelmäßig in meiner Unsicherheit darüber, aus welchen Augen er mich wohl betrachtete. Dazu kam, dass ich eigentlich nicht seinem Beuteschema entsprach: Zu schlank, zu brillenlos, zu wenig Lexikon. Entsprechend musste ich mich zu Beginn immer wieder vergewissern, wie es um seine Libido stand. So wollte ich eines Tages Folgendes von ihm wissen: «Sag mal, wie attraktiv bin ich eigentlich für dich?». Da er sich schwer mit der Beantwortung dieser Frage tat, versuchte ich diese zu vereinfachen, indem ich ihm eine Skala von 1-10 zur Verfügung stellte. Applejack druckste weiter herum und meinte schließlich: «Was die körperliche Attraktivität betrifft, schwankt es bei mir zwischen 6 und 10.» Der Affe in meinem Kopf ließ Kinnlade und Tschinellen gleichzeitig fallen. Ich war so empört und gekränkt, dass ich glatt den ersten, etwas schmeichelhafteren Teil seiner Aussage überhört hatte, in dem er meinte «…aber charakterlich bist du immer eine 10 für mich!». Unsere Beziehung war noch ganz frisch und ich hatte weder Hauer wie ein Warzenschwein, noch hing mir der Busen bis zu den Knien. Natürlich hatte ich mit einer 10 von 10 auf ganzer Ebene gerechnet, weil es nun mal das war, was die meisten von ihren Partnern hören möchten. Es nützte auch nichts, dass mein Mann beschwichtigend hinzufügte, dass ich mir darüber klar sein müsse, dass ich immerhin nie unter eine 6 fallen würde. Na vielen Dank aber auch. Ich weiß nicht mehr, ob ich zuerst schmollte und dann in Tränen ausbrach oder umgekehrt. Es war schwierig für mich damit umzugehen, dass er hie und da andere Personen auf Anhieb als attraktiv bezeichnen konnte, während er bei mir gefühlt 100 Jahre dafür gebraucht hatte und mein (Skalen-)Wert nach wie vor zu schwanken schien. «Lyncht ihn!» schrie der Affe. Applejack musste mir von da an in regelmäßigen Abständen erklären, dass er mich lange gar nie auf «dieser» Ebene habe wahrnehmen können, da eine solche Betrachtungsweise nicht kongruent mit meiner Rolle als seine Betreuungsperson gewesen wäre. Wo er recht hatte, hatte er recht. Nur ist den meisten von uns klar, dass sich rationales Denken nicht immer mit dem deckt, was in unserer Gefühls- und Fantasiewelt vor sich geht. Desweitern musste er mir stets aufs Neue versichern, dass er mich nicht verlassen würde, sollte er auf der Straße plötzlich auf ein brillentragendes Genie treffen, das weiß, dass Goofy kein Planet ist.
Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass er nicht nur das Köpfchen (denn natürlich weiß ich, dass Goofy kein Planet ist. Nur der Pluto.), sondern auch den Rest meines Körpers begehrt, denn mittlerweile kann er es mir mitteilen und zeigen. Er musste lediglich erst auf den Geschmack kommen, während ich mir etwas beschämt darüber klar geworden bin, dass es nicht weniger schmeichelhaft ist, wenn jemand in erster Linie aufgrund des Charakters und nicht wegen Äußerlichkeiten Gefallen an einem findet. Es ist etwas, das sich der Pöbel im Grunde wünscht und spätestens dann eine neue Wertigkeit erreicht, wenn der körperliche Verfall voranschreitet und die Brüste vielleicht tatsächlich vom Dachboden ins Kellergeschoss ziehen. Ich war jedoch nachsichtig mit mir. Es war nicht verwunderlich, dass ich fühlte, wie ich fühlte. Ich glaube, ich war bisher lediglich davon ausgegangen, dass Männer zuerst aufgrund meines Körpers auf mich aufmerksam werden und ich sie entsprechend auch darüber erreichen kann. Dass dies jetzt nicht mehr so einfach funktionierte, merkte ich spätestens in jenen Momenten, in denen ich nackig durch die Wohnung lief, ohne, dass Applejack großartig Notiz davon genommen hätte. Es verunsicherte mich zutiefst und legte mir zugleich schonungslos offen, wie ich eigentlich auf mich selbst blickte. Während ich von jenem schicksalhaften Tag an damit begann, mich in mehr Selbstliebe zu üben, erkannte er im Gegenzug die Wichtigkeit darin, mir nun öfters mitzuteilen, was ihn an mir um den Verstand bringt. Dies klang dann in etwa so: «Wow, die Venen an deinen Füssen sind so sexy!».